Heute wollen wir uns die wohl spektakulärste Kulisse in der Normandie anschauen. Wir fahren von Fécamp kommend, über die D940 nach Étretat. Die gut 17 Kilometer fahren sich ganz entspannt durch einige nette Ortschaften mit schmucken Häusern und herrlichen Hortensiensträuchern. Es ist Ende Juli und der Verkehr hält sich in Grenzen. Das ändert sich schlagartig, als wir Étretat erreichen.
Reger Andrang in Étretat
Wir sind plötzlich mittendrin im Gewusel und uns wird schnell klar, das es vernünftig ist, den großen Sammelparkplatz am Ortsausgang in Richtung Le Havre anzufahren. Es ist gegen 10 Uhr morgens und wir müssen eine Weile suchen, bis wir ein freies Plätzchen für unser Auto finden. Dann marschieren wir tapfer zurück in Richtung Innenstadt. Um uns rum ein Gewirr aus unzähligen, verschiedenen Sprachen. Aus aller Herren Länder strömen die Besucher in die gleiche Richtung.Wie sich dann herausstellt, ist heute, am Donnerstag, Krammarkt rund um die alte Markthalle, was den Andrang sicher noch verstärkt.




Manoir de la Salamandre – Fachwerkromantik im Herzen von Étretat
Mit seinen kunstvoll geschnitzten Balken, Erkern und Figuren ist das Manoir de la Salamandre eines der bekanntesten Häuser von Étretat – ein echter Blickfang im Ortskern. Obwohl es auf den ersten Blick aussieht, als stamme es aus dem Mittelalter, hat das Gebäude eine ungewöhnliche Geschichte: Es wurde ursprünglich im 16. Jahrhundert in Lisieux errichtet und Anfang des 20. Jahrhunderts Stein für Stein abgetragen und in Étretat wieder aufgebaut.
Das prachtvolle Fachwerk, die geschnitzten Säulen und die Salamander-Ornamente – Symbol des französischen Königs Franz I. – verleihen dem Haus ein märchenhaftes Aussehen. Heute beherbergt das Manoir ein Hotel und Restaurant, das seinen historischen Charme bewahrt hat.
Wer durch Étretat bummelt, sollte hier unbedingt kurz innehalten: Das Gebäude erzählt wie kaum ein anderes von der Faszination der Normandie für Geschichte, Handwerkskunst und detailreiche Architektur.




Wir lassen uns von der Menge treiben, die der Promenade zustrebt. Es ist ordentlich warm und wir entscheiden uns nach rechts, in Richtung der Falaises d’Amont abzubiegen.



Die gleiche Aussicht inspirierte schon Claude Monet zu einem seiner Gemälde:
Claude Monet und die „Bateaux de pêche à Étretat“
Die spektakuläre Küste von Étretat inspirierte zahlreiche Künstler – allen voran Claude Monet, der hier einige seiner bekanntesten Werke schuf. Besonders eindrucksvoll ist sein Gemälde „Bateaux de pêche à Étretat“ (Fischerboote in Étretat), das er um 1885 malte.
Alltag und Licht – Étretat durch Monets Augen
Monet hielt in diesem Werk nicht nur die Schönheit der Kreidefelsen fest, sondern auch das alltägliche Leben am Meer. Im Vordergrund liegen die bunt gestrichenen Fischerboote am Strand, dahinter ragt die imposante Falaise d’Aval auf, deren Torbogen wie ein steinernes Monument ins Meer hinausragt. Mit lockeren, leuchtenden Pinselstrichen und dem für ihn typischen Spiel aus Licht und Farbe fing Monet die besondere Atmosphäre dieses Ortes ein – die Verbindung von Arbeit, Natur und unendlichem Horizont.
Das Gemälde zeigt, wie stark Étretat die Künstler des Impressionismus inspirierte: Die sich ständig verändernden Lichtverhältnisse, das Zusammenspiel von Meer, Himmel und Felsen – all das war für Monet ein unerschöpfliches Motiv. Er malte in Étretat mehr als fünfzig Ansichten der Küste, bei Sonne, Nebel, Sturm oder sanftem Abendlicht.
„Bateaux de pêche à Étretat“ ist bis heute eines der Werke, das den Zauber dieses Ortes besonders eindrucksvoll vermittelt: ein Moment voller Bewegung und Stille zugleich – eingefangen an einem der schönsten Küstenabschnitte der Normandie.


Les Falaise d’Amont erhebt sich eindrucksvoll am östlichen Ende von Étretat und bietet einen der schönsten Aussichtspunkte der Alabasterküste. Von hier blickt man über das Meer, den Ort und die berühmte Felsenbrücke der Porte d’Aval. Ein gut ausgebauter Weg führt hinauf – ein lohnender Spaziergang, bei dem sich immer neue Perspektiven auf die spektakulären Klippen öffnen. Oben angekommen, steht die kleine Kapelle Notre-Dame-de-la-Garde, die den Fischern einst Schutz bot. Von hier aus scheint das Meer unendlich, und der Blick über die weißen Klippen und das tiefblaue Wasser ist einfach unvergesslich.

Nachdem wir eine Weile am Strand herumgewandert sind und uns den Port d’Amont von hier aus angesehen haben, steigen wir die vielen Stufen zur Chapelle Notre-Dame de la Garde hinauf. Von hier oben hat man fantastische Ausblicke auf Étretat.
Chapelle Notre-Dame de la Garde – Hoch über den Klippen von Étretat
Hoch oben auf den berühmten Kreidefelsen von Étretat thront die Chapelle Notre-Dame de la Garde, eine kleine, steinerne Kapelle mit großem Symbolwert. Sie wurde ursprünglich im 19. Jahrhundert von den Fischern der Stadt erbaut, die sie der Schutzpatronin der Seeleute weihten. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg entstand sie in den 1950er-Jahren in ihrer heutigen Form neu – schlicht, aber eindrucksvoll und in perfekter Harmonie mit der rauen Schönheit der normannischen Küste.
Zwischen Himmel und Meer – Ein Ort voller Symbolik
Von hier oben eröffnet sich ein spektakulärer Blick auf die berühmten Felsbögen Falaise d’Aval und L’Aiguille, die wie steinerne Wächter über dem Meer stehen. Besonders bei Sonnenuntergang, wenn die Kreidefelsen golden leuchten und die Wellen in der Tiefe glitzern, entfaltet dieser Ort seine ganze Magie.
Neben der Kapelle erinnert ein Denkmal an die in Étretat geborenen französischen Luftfahrtpioniere Charles Nungesser und François Coli, die 1927 bei dem Versuch, den Atlantik zu überqueren, spurlos verschwanden. Ihr Flugzeug L’Oiseau Blanc („Der weiße Vogel“) soll hier zuletzt gesehen worden sein – eine Legende, die sich bis heute mit dem Ort verbindet.



Wir wandern ein Stück oberhalb der Falaises entlang und genießen die herrlichen Ausblicke.







In der Nähe der Kirche befindet sich der Eingang zu den Jardins d’Étretat. Der Landschaftsarchitekt Alexandre Grivko schuf hier, in exponierter Lage einen Garten, der zeitgenössische Kunst und Gartenarchitektur mit herrlicher Aussicht vereint.
Zwischen kunstvoll geschnittenen Buchsbaumformen, Skulpturen und modernen Installationen eröffnet sich immer wieder der Blick auf das Meer und die spektakuläre Küstenlinie. Die Gärten sind in verschiedene Themenbereiche unterteilt, die spielerisch Emotionen, Musik und Bewegung aufgreifen. So entsteht ein Ort, der sowohl zum Staunen als auch zum Nachdenken einlädt – ein lebendiges Beispiel dafür, wie sich zeitgenössische Kunst harmonisch in die Natur einfügen kann.


Es wird immer heißer und die Sonne brennt erbarmungslos hier oben. Wir genießen noch ein wenig die wunderschöne Aussicht und steigen dann die vielen Stufen zum Strand hinunter.




Porte d’Aval und L’Aiguille
Wir nähern uns jetzt dem Felsentor Porte d’Aval und der Felsnadel L’Aguille. Auch hier ließ sich einst Monet inspirieren und schuf gleich eine Anzahl von Kunstwerken, wie die Tafeln belegen.
Claude Monet und die Porte d’Aval – Licht, Meer und ewiger Wandel
Kaum ein Motiv fesselte Claude Monet so sehr wie die Porte d’Aval, den majestätischen Felsbogen an der Küste von Étretat. In den 1880er-Jahren kehrte der Maler mehrfach in den kleinen Ort an der Alabasterküste zurück, um die bizarren Felsen und das ständig wechselnde Licht des Meeres festzuhalten. Zwischen 1883 und 1886 entstand eine ganze Serie von Gemälden, in denen Monet die Porte d’Aval immer wieder neu interpretierte – bei Sonnenaufgang, in goldenes Abendlicht getaucht oder in winterlichem Grau.
Das Spiel des Lichts – Étretat im Blick des Impressionisten
Typisch für Monets impressionistischen Stil ist der Verzicht auf Details zugunsten von Stimmung und Atmosphäre. Die Felsformation wird nicht exakt wiedergegeben, sondern scheint im Licht zu schimmern und sich fast aufzulösen. In manchen Werken spiegelt sich die „Nadel“ – die Aiguille – im Wasser, in anderen hebt sich der Bogen dramatisch gegen den Himmel ab, während Wellen an seinem Fuß brechen.
Monets Vermächtnis – Die Porte d’Aval als Sinnbild des Impressionismus
Monet malte oft im Freien, mitten im Wind und in der Gischt, um die Wirkung des Augenblicks einzufangen. Er selbst schrieb, wie schwierig es sei, die rasch wechselnden Farben des Himmels und des Meeres festzuhalten – und genau dieser flüchtige Eindruck macht den Zauber seiner Étretat-Bilder aus.
Heute sind seine Darstellungen der Porte d’Aval in Museen auf der ganzen Welt zu sehen, etwa in Paris, London oder New York. Sie gehören zu den eindrucksvollsten Beispielen impressionistischer Landschaftsmalerei – und machen deutlich, warum Étretat bis heute als „Freilichtatelier des Lichts“ gilt.






Unterhalb der Felsen von Étretat verbirgt sich die geheimnisvolle Grotte Trou à l’Homme – eine kleine, vom Meer geschaffene Höhle, die ihren Namen einer alten Legende verdankt. Der Überlieferung nach wurde hier einst ein Schiffsbrüchiger an Land gespült, der wie durch ein Wunder überlebte. Heute lässt sich die Grotte bei Ebbe durch einen schmalen Durchgang im Fels erreichen. Doch Vorsicht ist geboten: Der Zugang ist nur für kurze Zeit möglich, bevor die Flut zurückkehrt und den Weg schnell wieder unter Wasser setzt. Wer sie besuchen möchte, sollte daher unbedingt auf die Gezeiten achten – sonst kann der Rückweg gefährlich werden.

Nach der Kletterei bei über 30 Grad entscheiden wir uns spontan die Falaises d’Amont ein anderes Mal zu erklimmen und den Rest des Tages lieber am schönen Strand von Étretat zu verbringen. Hier ist erstaunlich wenig los, weil sich alle auf die Steilküste konzentrieren.
Mein Fazit: Besser in einem anderen Monat hierherkommen, wenn man in Ruhe schauen und fotografieren möchte. Im Juli, und noch heftiger im August, herrscht hier ein Andrang, wie auf dem Jahrmarkt. Aus dem einstigen Fischerdorf, ist ein Hotspot geworden, der jedes Jahr zigtausende Besucher aus der ganzen Welt anzieht.
Étretat – Juwel an der Alabasterküste
Lage: Département Seine-Maritime, Normandie, Frankreich
Bekannt für: Spektakuläre Kreidefelsen Falaise d’Amont und Porte d’Aval, die steinerne Nadel L’Aiguille, charmantes Seebadflair und traumhafte Aussichtspunkte.
Sehenswürdigkeiten: Die kleine Kapelle Notre-Dame-de-la-Garde hoch über den Klippen, die Jardins d’Étretat mit zeitgenössischer Gartenkunst, die geheimnisvolle Grotte Trou à l’Homme (nur bei Ebbe zugänglich!) sowie der historische Vieux Marché im Ortskern.
Aktivitäten: Spaziergänge auf den Klippenwegen, Wanderungen entlang der Alabasterküste, Fotostopps an den Aussichtspunkten, Marktbesuch (Donnerstagsvormittag), Bootsausflüge und Strandspaziergänge.
Tipp: Am besten am frühen Morgen oder späten Nachmittag kommen – dann ist das Licht besonders schön und der Besucherandrang geringer.
Anreise: Étretat liegt etwa 25 km nördlich von Le Havre und ist mit dem Auto oder Bus gut erreichbar. Parkmöglichkeiten gibt es am Ortseingang.
Beste Reisezeit: Mai bis September – für Wanderungen, Ausflüge und den typischen Badeort-Charme.

